Ein „Grindr Wrapped“ in Anlehnung an das gefeierte Feature von Spotify ist ja nichts Neues mehr. Ich möchte trotzdem einen kleinen Jahresrückblick auf 2024 machen und dabei überlegen, wie gut oder schlecht ich mit dem Dating klargekommen bin. Der Titel lässt es schon vermuten: Eigentlich lief es ganz gut. Aber um dort hinzukommen, bin ich durch etliche Frustmomente gegangen, die sicher viele von euch auch kennen…
Der Markt und unsere Hirne sind übersättigt
Falls ihr mein Video zum Thema Tinder & Co. geschaut habt, wisst ihr, dass die Auswahl an potenziellen Matches und Dates riesig ist. Vor allem in Großstädten wird man beim Öffnen von Grindr regelrecht überschwemmt mit halbnackten und datebereiten Profilen. Auch die Anzahl der Dating-Apps selbst ist mittlerweile weitaus größer als noch vor 15 Jahren. Hinzu kommt, dass auch Social Media zum Dating „missbraucht“ wird. Die meisten texten, swipen und scrollen also parallel auf vier, fünf oder mehr Plattformen, beantworten unzählige „Hi“s und schicken x Mal täglich ihre Nudes herum. Und das ohne den erhofften Erfolg.
Tiktok und Instagram haben uns dahingehend erzogen, dass wir schnelle Feel-Good-Momente und Dopaminkicks wollen. Die Zeit, die ein echter Mensch auf Dating-Apps hat, um uns zu überzeugen, ist lachhaft gering. Wir sortieren anhand der Profilbilder in Höchstgeschwindigkeit aus, sind innerhalb von Sekunden gelangweilt oder genervt und – plopp – da kommt eh schon die neue Notification rein, dass der Nächste auf seine Antwort wartet. Und dann müssen wir auch noch selber einschätzen, worauf wir eigentlich momentan wirklich Lust haben. Dabei vertreiben wir uns doch eigentlich bloß gerade die Zeit oder suchen nach etwas Bestätigung…
Meine Dating-Historie
Bevor wir dazu kommen, was meine konkreten Maßnahmen sind, um Dating erfolgreicher und angenehmer zu gestalten, blicken wir kurz auf meine Vergangenheit. Ich bin Ende 30, mittlerweile seit über 15 Jahren in einer glücklichen und gesunden Beziehung mit meinem Mann. Wir identifizieren uns beide als schwule cis Männer und haben einige Jahre monogam gelebt. Dann irgendwann kam die Öffnung der Beziehung und seitdem sind wir auch wieder aktiv auf Dating-Portalen unterwegs. Wir wissen beide, dass es emotional für keine andere Person Platz geben wird. Sexuell ist es laut unseren Regeln jedoch möglich, sich auszutoben.
Ich bin kein Typ für Darkrooms, Partys oder Bars. Ich lerne Männer lieber online kennen und chatte eine Weile hin und her, bevor es zum Treffen kommt. Meinen ersten Freund habe ich via gay.de kennengelernt, Michael über Romeo. Außerdem habe ich Grindr, Tinder, Hornet, ChillApp, Feeld, Funkyboys und dbna ausgiebig getestet. Hinge, Bumble, Scruff, OkCupid, Sniffies, Buddy und Stndr kenn ich über Studien, Literatur und Freund*innen. Ich habe keine nennenswerten Kinks, sollte man vielleicht noch erwähnen.
Was ich jetzt besser als früher mache
Mit dem Alter kommt die Weisheit. Und wenn man Psychologie studiert hat. Ich glaube, es ist ein bunter Mix aus Glück, Persönlichkeit, Lebensumständen, Wissen und Fähigkeiten, der mich mittlerweile an den Punkt gebracht hat, dass ich einigermaßen im Reinen mit den Apps bin. Was genau heißt das?
- Ich sortiere vor
Und damit meine ich die Apps selbst sowie meine Termine. Ich bin mir völlig klar darüber, welche Vor- und Nachteile bestimmte Plattformen haben und weiß mittlerweile, was sich für meine Zwecke am besten eignet. Ich habe mich auf genau zwei Apps festgelegt, die ungefähr das Angebot haben, was auch mit meinem Kalender und Zielen zu vereinbaren ist. Ich weiß und bestimme darüber, wann ich Zeit habe und bleibe auch dabei. - Ich kenne mich gut
Wer genau weiß, was er will und was er sucht, bekommt bessere Matches. Ich kann meine No-Gos klar formulieren, ich bin ehrlich mir gegenüber und meinen Bedürfnissen. Ich weiß, wie ich mich im Zweifel selbst befriedigen kann. Ich habe eine „gute Basis“ und ein funktionierendes Umfeld. - Ich habe Alternativen und geringe Erwartungen
Wenn ich versetzt werde oder mich jemand ghostet, kann ich damit umgehen. Ich hege nicht für Ewigkeiten einen Groll, sondern ziehe weiter. Ich kann mich gut in andere hineinversetzen und versuche immer wieder, die Dinge aus deren Perspektive zu sehen. Gleichzeitig erwarte ich das nicht von meinem Gegenüber. Wenn mir etwas nicht passt, heißt es ciao. - Ich behandle die anderen menschlich und mit Respekt
Ich ignoriere Menschen, die mich anschreiben, nicht. Ich versuche mit ihnen schnell zu dem Punkt zu kommen, dass klar ist, was beide suchen. Ich weiß, wie und welche Fragen ich stellen muss. Wenn es keine Überschneidungen gibt, sage ich freundlich ab. - Ich lass mich finden
Meine Profile sind aussagekräftig genug. Ich habe verstanden, wie ich mich vorteilhaft, aber nicht verfälscht, präsentieren muss, um Interesse zu wecken. 90 % meiner Dates entstehen dadurch, dass andere den ersten Schritt machen und ich darauf reagieren kann. - Ich bin offen und kenne „meinen Typ“
Ich lass mich nicht von ein paar Profilfotos blenden oder abschrecken. Ich habe Vieles schon ausprobiert und hatte Dates mit den unterschiedlichsten Menschen, was die Bandbreite möglicher Passungen enorm erweitert hat. Ich brauche keine „Bilderbuchmänner“, verschmähe sie auch nicht. - Ich kann Sex von Gefühlen trennen
Nach einem Date mache ich mir keine Hoffnungen, dass mehr draus wird. Wenn es dann doch passiert, kann man immer noch weiterschauen. Ich kann genau so viel von mir emotional reingeben, dass es sich nicht mechanisch anfühlt, aber gleichzeitig auch Grenzen für mich wahren. - Ich dokumentiere und reflektiere
Tatsächlich habe ich in den letzten Jahren in totaler Kurzform Buch darüber geführt, mit wem ich Dates hatte. So fällt eine Einordnung leichter. Und falls sich nach einiger Zeit mal wieder eine Person meldet, weiß ich, wie ich darauf reagieren kann.
Wenn ich das so runterschreibe, klingt es ganz schön abgeklärt. 😅 Ich bin mir auch meiner Privilegien bewusst. Letzteres kann ich generell nur empfehlen, sich mal genauer vor Augen zu führen. Ich bin durch etliche Fuck-Ups gegangen und oft genug zu Tode genervt gewesen. Aber dann habe ich eigentlich immer entsprechende Konsequenzen ergriffen: die App gelöscht, mein Dating-Verhalten geändert, die Fühler in eine andere Richtung ausgestreckt oder viel Selbstbeobachtung betrieben.
Was ihr aus dieser Liste mitnehmen könnt
Einige meiner eigenen Erfahrungen decken sich mit dem, was auch die Forschung zum Thema Dating untersucht. Auf jeden Fall lernt man durch die Nutzung von Dating Apps auch eine ganze Menge über sich selbst – wenn man mal genauer hinschaut. Und dazu möchte ich euch gern ermutigen: Denkt nach jeder Interaktion kurz drüber nach, was ihr davon mitnehmen könnt. Hilft es euch, eure eigenen Regeln zu formen? Seid ihr überhaupt ehrlich zu euch selbst, wenn ihr euer Profil mit einem Außenblick anschauen würdet? Aus welcher Stimmung heraus interagiert ihr überhaupt auf den Apps und warum?