Habt ihr schon mal in eurem Umfeld herumgefragt, wer eine offene Beziehung führt? Die Chancen stehen recht hoch, wenn ihr mit queeren Menschen befreundet seid. Ich persönlich kenne z. B. kaum schwule Paare, die über viele Jahre zusammen sind und monogam leben. Aber auch Heteros liebäugeln immer mehr mit offenen Beziehungsmodellen. Die Fragen, die sich häufig stellen, sind: Wie kann das funktionieren? Was sind die Voraussetzungen für eine offene Beziehung? Und woran scheitern sie?
Michi und ich haben zu dem Thema auch mit Desi ein Youtube-Video gedreht. Schau gern mal rein. In diesem Artikel fasse ich die für mich am wichtigsten erscheinenden Punkte zusammen.
Offene Beziehungsmodelle und Polyamorie
Monogame lebenslange Partner*innenschaften stellen die dominierende Beziehungsform in menschlichen Gesellschaften dar. Dabei beschließen die Beteiligten, als Paar exklusiv zu leben, also emotional und sexuell treu zu sein – im eigentlichen Wortsinn sogar das ganze Leben lang. Monogamie ist aber nur eine Variante, wie man Beziehungen führen kann.
Bei offenen Beziehungen kommen Dritte mit ins Spiel. Manche Menschen bezeichnen sich als poly, führen also sexuelle und/oder emotionale Beziehungen mit mehr als einem Menschen. Polyamorie meint dann in der Regel, mehrere Partner*innen gleichzeitig zu haben und mit ihnen Intimität und Alltag zu teilen. Als polysexuell wird definiert, die Sexualität mit mehr als einer Person auszuleben. Polyromantisch hingegen sind Menschen, die für ihr romantisches Glück mehr als eine Person bevorzugen. All diese Formen erfordern Offenheit und Freiräume und können als sogenannte einvernehmlich nicht-monogame Beziehung (kurz ENMB) bezeichnet werden. Menschen aus LGBTQ+ Communities wählen statistisch gesehen häufiger eine solche ENMB.
Manche Beziehungen sind auch nur einseitig offen. Das kann bedeuten, dass eine Person sexuelle und/oder romantische Außenkontakte hat und die andere Person bewusst drauf verzichtet. Es kann aber auch sein, dass eine Person heimlich andere Menschen datet oder mit ihnen Sex hat. Hier spricht man dann eher von fremdgehen oder Untreue.
Fremdgehen ist meistens keine gute Basis
Je nachdem, welche Statistik man sich anschaut, geht die Forschung von 1 bis 40 Prozent Fremdgehquote aus. Die starken Schwankungen können sich durch verschiedene Messmethoden und Fragestellungen sowie verschiedene untersuchte Kohorten ergeben.
Es kann vorkommen, dass Paare sich für eine offene Beziehung entscheiden, weil eine Person (oder beide) fremdgegangen ist. Untreue oder Seitensprünge sind in der Regel immer wichtige Veränderungspunkte. Fremdgehen ist einer der Hauptgründe, warum Paare Beratung und Therapie aufsuchen. Die Verarbeitung nach dem Fremdgehen kann dazu führen, dass ein offenes Beziehungsmodell gewählt wird. Das kann allerdings nur klappen, wenn beide sich dafür aussprechen, die Verletzungen geheilt sind, genug Vertrauen besteht und das Commitment für die Weiterführung der Beziehung da ist. Im Video mit Desi erwähne ich, dass die Entscheidung für das Öffnen der Beziehung aus einem Problem heraus allerdings selten Erfolg bringt. Der gemeinsame Nenner fehlt dann.
Wann können offene Beziehungen gut funktionieren?
Wenn die gemeinsame Basis stabil ist, kann man in einer Beziehung viel ausprobieren. Zum Offensein gehört in meinen Augen eben auch offen kommunizieren zu können. Dazu zählt ein Austausch über Bedürfnisse, Wünsche, Ängste, Grenzen und Werte.
Queere Menschen haben Erfahrung darin, was es bedeutet, nicht den vorgegebenen Normkonzepten der Mehrheitsgesellschaft zu entsprechen. Das ist meiner Ansicht nach einer der Hauptgründe, warum auch in Beziehungen mehr ausprobiert und mehr Raum für Dinge, die nicht den Normen entsprechen, gegeben wird. Man muss sich andererseits aber auch bewusst sein, dass gerade aus konservativen Kreisen immer wieder gegen offene oder poly Beziehungen gewettert wird. Hat ein Paar Kinder, sollte mit dem Thema auch entsprechend sensibel umgegangen werden.
Eifersucht wird zu großer Wahrscheinlichkeit auftreten. Damit sollte ein gesunder Umgang gefunden werden. Kommt es immer wieder zu Streitereien oder Verletzungen aufgrund der offenen Beziehung, scheint es nicht der richtige Weg zu sein.
Viele Paare entwickeln gemeinsame Regeln. Das ist vor allem für den Anfang hilfreich, um der eigenen Unsicherheit und Ängsten begegnen zu können. Achtet darauf, Safer Sex zu praktizieren. Möchtet ihr bestimmte Räumlichkeiten oder Praktiken ausschließen? Gibt es eine bestimmte Frequenz für Dates? Ist der Aufbau von romantischen Beziehungen im Freund*innenkreis ok? Nehmt euch Zeit für die Abstimmung und kontrolliert immer wieder, ob Regeln angepasst, verworfen oder neu dazukommen müssen.
Michi und mich hat das Öffnen sogar stärker zusammengeschweißt. Es braucht(e) immer wieder Deep Talk und dieser Austausch stärkte zusehends unser Band. Intimität ist nicht gleich Sex. Wer Sex auslagert, findet genug andere Möglichkeiten, trotzdem eine gute und sehr intime Zeit in der Primärbeziehung miteinander zu genießen. Auch darüber sollte man sich austauschen und nicht von außen leiten lassen. Lebt die Beziehung so, wie ihr es für richtig empfindet, solange niemand dabei zu Schaden kommt.
Quellen: